Sehr geehrter Herr Bundestagspräsident,

zum fünften Mal innerhalb von anderthalb Jahren berät der Deutsche Bundestag heute über die Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite.

Die Argumente der Bundesregierung sind dabei seit Beginn stets dieselben: die hohe Inzidenz und Angst vor der Überlastung des Gesundheitssystems. Regelmäßig trägt die Bundesregierung in dieser Sache ihre unveränderte Position zur Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite mit einer gewissen Selbstverständlichkeit vor und verkennt dabei offenbar die Tatsache, dass sich in dieser Coronalage über einen langen Zeitraum in-zwischen viel getan hat.

Während zu Beginn der Pandemie keinerlei Erkenntnisse und Daten darüber vorlagen, wie ansteckend das Virus ist und welche medizinischen Folgen es für die Bevölkerung und die Gesellschaft nach sich zieht, wissen wir heute, dass die Krankheit in den allermeisten Fällen glücklicherweise einen milden Verlauf nimmt.

Die seitens der Regierung verhängten Corona-Maßnahmen waren ohne Zweifel mindestens zu Beginn der Coronakrise ein wichtiger Beitrag zum Schutz der Gesellschaft und des Gesundheitssystems. Danach ist eine breite Impfkampagne gut angelaufen, die sich weiterhin sehr erfolgreich entwickelt und große Wirkung zeigt. Selbstverständlich muss sie fortgesetzt werden. An dieser Stelle möchte ich gern auch noch einmal explizit zum Ausdruck bringen, dass das bisher Erreichte unser aller Anerkennung verdient.

Nicht zuletzt aufgrund der Impferfolge und der insgesamt milden Infektionsverläufe, fragen aber inzwischen nicht nur angesehene Juristen, ob überhaupt noch eine Pandemie von nationaler Tragweite vorliegt. Auch die Bevölkerung zeigt sich zunehmend skeptisch.

Ich teile diese Zweifel, denn wenn selbst der Bundesminister Jens Spahn in-zwischen erklärt, dass das Gesundheitssystem zu keiner Zeit in den letzten 18 Monaten auch nur annähernd überlastet war und auch der Inzidenzwert zur Vorhersage schwerer Erkrankungen wenig geeignet ist, sollte man anhand dieser Tatsachen eine neue Lagebewertung vornehmen.

Für mich heißt es im Ergebnis, dass es an der Zeit ist, die Feststellung der epidemischen Lage aufzuheben.

In meinen Gesprächen im Wahlkreis registriere ich ein wachsendes Unverständnis über das Vorgehen der Bundesregierung, die Dauer der epidemischen Lage immer wieder nur zu verlängern. Diese Art „Automatismus“ stößt immer stärker auf Misstrauen, weil nicht erkennbar ist, welche aktuellen Kriterien zur Feststellung der epidemischen Lage herangezogen werden.

Insbesondere Familien und Kinder sind die Hauptleidtragenden dieser politischen Sachlage. Auch die Wirtschaft ist von den Auswirkungen betroffen. Die Hauptaufgabe muss sein, Kindern wieder einen „normalen“ Alltag zu bieten und der Wirtschaft Perspektiven aufzuzeigen. Dies gelingt nicht mit der permanenten Feststellung einer epidemischen Lage von nationaler Tragweite, die immer gleich begründet wird.

Es drängt sich der Eindruck auf, dass aus dem „Team Vorsicht“ inzwischen ein „Team Angst“ geworden ist. Klar ist, dass wir auch in Zukunft mit dem Coronavirus werden leben müssen, und zwar mit angepassten Begleitmaß-nahmen, die eher an den tatsächlichen Erfordernissen orientiert sind.

Deshalb ist es aus meiner Sicht geboten. die epidemische Lage sofort aufzuheben und über Perspektiven nachzudenken, die eine schnelle Rückkehr zur Normalität ermöglichen.

In der Gesamtschau ist es für mich nicht nachvollziehbar, wie man eine weitere Verlängerung erwirken möchte. Deshalb werde ich den Antrag zur Verlängerung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite heute ablehnen.

Dr. Saskia Ludwig MdB